Nachhaltigkeit im Modehandel: Wie Händler den Attitude-Behavior-Gap schließen können

Nachhaltigkeit im Modehandel: Wie Händler den Attitude-Behavior-Gap schließen können

Nachhaltigkeit ist vielen Verbraucher:innen wichtig – zumindest in der Theorie. In der Praxis zeigt sich jedoch ein anderes Bild: Zwischen Anspruch und tatsächlichem Kaufverhalten klafft eine deutliche Lücke. Diese sogenannte Attitude-Behavior-Gap stellt Modehändler aktuell vor große Herausforderungen.

Inflation, geopolitische Krisen und steigende Lebenshaltungskosten haben dazu geführt, dass Nachhaltigkeit beim Einkauf seltener oberste Priorität hat. Dennoch geben viele Konsument:innen an, beim Textilkauf auf ökologische oder soziale Kriterien zu achten. Das zeigt: Das Interesse ist da. Aber Preis, Sichtbarkeit und wahrgenommener Nutzen entscheiden letztlich über den Kauf.

„Wer nachhaltige Textilien verkaufen will, muss sie sichtbar, verständlich und attraktiv für seine Kunden machen. So lässt sich das Umsatzpotenzial besser nutzen.“

Warum nachhaltige Textilien noch zu selten gekauft werden

Die Kaufentscheidungen im Modehandel hängen stark von Zielgruppe, Sortiment und Wettbewerbssituation ab. Während Nischen wie der Outdoor-Bereich weiterhin von einer hohen Nachhaltigkeitsaffinität profitieren, gilt Nachhaltigkeit in anderen Segmenten teils als Luxus oder wird sogar politisch abgelehnt.

Die wichtigsten Barrieren für nachhaltige Kaufentscheidungen sind:

  • Fehlende Sichtbarkeit im Sortiment

  • Preis und unklarer Mehrwert

  • Geringes Vertrauen in Labels und Marken

  • Stil- und Modepräferenzen

Umso wichtiger ist es, dass Händler aktiv dazu beitragen, diese Hürden abzubauen.


1. Transparenz schaffen und Sortiment kennen

Viele Händler wissen gar nicht genau, welche Artikel im eigenen Sortiment tatsächlich nachhaltiger produziert sind. Dabei ist diese Kenntnis die Basis für jede glaubwürdige Kommunikation.

Empfehlung:

  • Alle nachhaltig produzierten Artikel erfassen und kennzeichnen

  • Nur mit glaubwürdigen Labels arbeiten (z. B. GOTS, Fairtrade, Oeko-Tex – Made in Green)

  • Siegel über Siegelklarheit.de prüfen

  • Alle Nachhaltigkeitsclaims belegen, um Greenwashing-Risiken zu vermeiden


2. Sichtbarkeit erhöhen und Orientierung bieten

Ob nachhaltigere Produkte auf einer Sonderfläche präsentiert oder in das reguläre Sortiment integriert werden sollen, wird seit Jahren diskutiert. Eine pauschale Antwort gibt es nicht. Entscheidend ist, was in der jeweiligen Filiale funktioniert.

Empfehlung:

  • Prominente Platzierungen im Laden nutzen

  • Mit visuellen Stoppern oder Labels arbeiten

  • Sonderflächen für neue nachhaltige Linien oder Eigenmarken einrichten

  • Storytelling einsetzen: die Herkunftsgeschichte und Vorteile der Produkte am POS und online erzählen

„Wenn Preis, Sichtbarkeit und individueller Kundennutzen passen, wählen Verbraucher nachhaltigere Textilien. Händler sollten sie daher klar präsentieren und den Nutzen kommunizieren.“


3. Individuellen Kundennutzen kommunizieren

Nachhaltige Textilien sind oft etwas teurer – zu Recht, denn die Einhaltung sozialer und ökologischer Standards kostet. Dennoch sind viele Menschen bereit, einen Aufpreis zu zahlen, wenn sie darin einen persönlichen Vorteil sehen.

Empfehlung:
Heben Sie konkrete Nutzenaspekte hervor, die Kund:innen direkt betreffen:

  • Biobaumwolle: hautfreundlich, frei von Pestiziden

  • Vegetabil gegerbtes Leder: chromfrei und gesundheitlich unbedenklich

  • Striktes Chemikalienmanagement: weniger Schadstoffe im Endprodukt

Tipp: Kleine Anreize wie Rabatte oder Bonusprogramme können zusätzlich die Kaufentscheidung erleichtern.


4. Soziale Anreize nutzen – Nachhaltigkeit erlebbar machen

Menschen orientieren sich am Verhalten anderer. Wer soziale Bestätigung erhält, fühlt sich in seiner Entscheidung bestärkt. Dieses Prinzip lässt sich gezielt im Handel nutzen.

Empfehlung:

  • Kunden-Events oder Modenschauen für nachhaltig interessierte Zielgruppen organisieren

  • Kundenfeedback aktiv einholen und kommunizieren

  • Social Proof schaffen: Bestseller, Bewertungen und Empfehlungen sichtbar machen


Fazit

Nachhaltige Mode zu verkaufen, ist keine reine Sortimentsfrage. Es ist eine Kommunikations- und Präsentationsaufgabe. Sichtbarkeit, Glaubwürdigkeit und der individuelle Nutzen für den Kunden entscheiden über den Erfolg.

Wer es schafft, Nachhaltigkeit erlebbar, verständlich und attraktiv zu machen, kann nicht nur die Attitude-Behavior-Gap verringern, sondern auch langfristig Umsatz und Kundenbindung stärken.

N.B.: Diesen Beitrag hatte ich ursprünglich der TextilWirtschaft auf eine Frage an den TW-Expertenrat geschickt. In der Extra-Ausgabe zu Nachhaltigkeit am 25.09.25 wurde eine verkürzte Version meiner Antwort abgedruckt, die im Beitragsbild gezeigt wird.

Trends vom Sustainability Summit 2025 der Textilwirtschaft

Trends vom Sustainability Summit 2025 der Textilwirtschaft

Diese Woche war ich beim Sustainability Summit 2025 der Textilwirtschaft in Hamburg. Ich war dort als Mitglied des TW-Expertenrats. In diesem Rahmen durfte ich meine Verantwortung im TW-Expertenrat für alle Fragen rund um die Darstellung von Nachhaltigkeit am POS im stationären Handel vorstellen. Denn gerade am Point of Sale entscheidet sich, ob Kund:innen Nachhaltigkeit verstehen, ihr vertrauen und sie am Ende auch nachfragen.

Zwischen Motivation und Bremse

Die Stimmung beim Summit würde ich als gebremst optimistisch beschreiben. Es war zu spüren, dass die ganz große Euphorie, die das Thema Nachhaltigkeit in der Textilbranche in den letzten zwei Jahren getragen hat, etwas abgeflacht ist.

Besonders spannend fand ich die Beiträge von Unternehmen wie der Otto Group. Otto beschäftigt sich seit über 40 Jahren intensiv mit Nachhaltigkeit; und das aus eigener Motivation, nicht, weil Gesetze es verlangen. Auch wenn die aktuellen Rechtsunsicherheiten als Bremse empfunden werden, war die Botschaft klar: Für Otto geht es nicht um Bürokratie oder Regulierung, sondern um die Zukunft der Menschen und ihre Lebensbedingungen. Dieses klare Commitment fand ich sehr beeindruckend. Auch das Unternehmen May aus Waldshut-Tiengen an der Deutsch-Schweizer-Grenze hat überzeugend gezeigt, was man auch als mittelständiges Handelsunternehmen bewegen kann.

Trends aus der Praxis

Ein roter Faden durch viele Diskussionen waren neue Konzepte für den stationären Handel:

  • Kleine Secondhand-Ecken im Laden, vor allem in mittleren und kleineren Städten, wo es keine große Konkurrenz durch spezialisierte Secondhand-Stores gibt.

  • Resale-Modelle von Marken selbst, die mit Dienstleistern zusammenarbeiten, um gebrauchte Ware zurückzunehmen, aufzubereiten und wieder in den Verkauf zu bringen.

Beides sind für mich spannende Ansätze, die Nachhaltigkeit für Kund:innen erlebbarer machen. Das funktioniert gerade dort, wo der Handel noch die Nähe und das Vertrauen der Menschen genießt.

Mein Fazit

Der Summit hat mir erneut gezeigt: Nachhaltigkeit in unserer Branche ist ein Marathon, kein Sprint. Die Unternehmen, die schon immer aus Überzeugung dabei waren, bleiben auch jetzt am Ball. Diejenigen, die nur aufgrund regulatorischen Drucks mitgemacht haben, treten dagegen deutlich auf die Bremse.

Trotzdem war es eine inspirierende Veranstaltung in einer tollen Location und mit vielen interessanten Gesprächen am Rande. Auch wenn die große Euphorie gerade einer nüchternen Realität weicht: Die Transformation geht weiter. Und es liegt an uns allen, das Thema sichtbar zu machen, voranzutreiben und uns damit auch gegenüber den Fast-Fashion-Onlinern vor allem aus China zu differenzieren. Dazu muss Nachhaltigkeit am POS für Kund:innen erlebbar werden!

Copyright Foto: Maximilian Probst

Woran erkennt man nachhaltige Mode?

Woran erkennt man nachhaltige Mode?

Als Mitglied des TW-Expertenrats durfte ich die Frage einer Modedesign-Studentin beantworten, woran man nachhaltige Mode als Verbraucher erkennt.

Verbraucher können nachhaltige Kleidung durch etablierte Siegel wie GOTS erkennen, die ökologische und soziale Standards entlang der gesamten Wertschöpfungskette abdecken. Nachhaltigkeit umfasst Aspekte wie Materialien, faire Arbeitsbedingungen, Umweltschutz und Kreislaufwirtschaft. Der Textilsektor gehört zu den umweltintensivsten Konsumbereichen und steht zunehmend unter gesetzlicher Regulierung. Ein geplanter digitaler Produktpass soll künftig Transparenz schaffen.

Unternehmen sollten entscheiden, ob sie Nachhaltigkeit ganzheitlich kommunizieren oder zunächst einzelne Produkte kennzeichnen. Wichtig ist, den Mehrwert nachhaltiger Kleidung so zu vermitteln, dass Konsumenten bereit sind, höhere Preise zu zahlen. Eine bewusste Siegelwahl und Informationsquellen wie „Siegelklarheit“ helfen bei der Orientierung.

Nachhaltigkeit erfordert Engagement von Herstellern, Handel und Käufern gleichermaßen, um echte Veränderungen im Markt zu bewirken.

Den gesamten Artikel finden Sie hier (Bezahlschranke). Sie können sich auch eine Audiozusammenfassung als KI-generierten Podcast anhören.